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Es gibt noch immer viele Jugendlichen, die alles dafür tun, ihre Homosexualität so lange wie möglich sogar vor ihrer Familie zu verstecken. Sie suchen händeringend nach Ausreden, um sich gegen die Kuppelversuche ihrer Eltern und Großeltern zu wehren. Außerdem werden zahlreiche schwule Männer und lesbischen Frauen zu „Weltmeistern“ im Suchen von Ausflüchten, wenn es mit dem Voranschreiten des Alters in Gesprächen immer öfter um die Frage der potentiellen Enkel/innen geht. In den meisten Fällen ist das Versteckspiel gar nicht nötig, denn die meisten Eltern und Großeltern sind inzwischen wesentlich toleranter, als befürchtet wird.

Homosexualität ist kein Tabu-Thema mehr

Je länger das Versteckspiel bei einer feststehenden Homosexualität dauert, desto schwieriger wird es für die Betroffenen, sich der Familie gegenüber zu outen. Diese Erfahrung haben wir im eigenen Bekanntenkreis gemacht. Dort drängelte die Mutter eines schwulen Mannes die ehemaligen Schulfreunde und Schulfreundinnen ihres Sohnes, ihn doch mit zu Tanzveranstaltungen zu nehmen. Sie hoffte, er würde dort eine passende Partnerin kennenlernen. Tatsächlich war der junge Mann aber schon einige Jahre mit einem männlichen Partner liiert. Aber er hatte nicht den Mut dazu, seiner Mutter die Wahrheit zu sagen, weil er befürchtete, sie könnte kein Verständnis dafür haben.

Eine langjährige Freundin des jungen Mannes setzte sich schließlich über seine Angst hinweg und weihte seine Mutter ein. Die Mutter wollte es zwar im ersten Moment nicht glauben, aber die Schulfreundin zeigte ihr in einem einfühlsamen Gespräch zahlreiche Situationen auf, in denen sie selbst die Homosexualität ihres Sohnes hätte erkennen können. Daraufhin reagierte die Mutter völlig anders, als der schwule junge Mann befürchtet hatte. Als er nach Hause kam, bat sie ihn kurzerhand, ihr seinen Partner endlich einmal vorzustellen. Sie schloss den männlichen Partner ihres Sohnes genauso ins Herz, wie sie es mit einer potentiellen Schwiegertochter getan hätte.

Homosexuelle Menschen sollten selbst den Mut zum Outing aufbringen

Die meisten Menschen empfinden es als den schlimmsten Vertrauensbruch, wenn sie von ihren Kindern belogen werden. In unserem Beispiel hatte der junge Mann Glück, dass seine Mutter seine Angst vor einem Outing nachvollziehen konnte. Um nicht wegen eines Vertrauensbruchs abgelehnt zu werden, sollten homosexuelle Jugendliche selbst den Mut zu einem offenen Gespräch mit ihren Eltern aufbringen. Gelegenheiten finden sich dafür ständig, denn auch in den Medien gibt es immer wieder Nachrichten, die sich mit dieser Thematik beschäftigen. Um die mögliche Reaktion der Eltern zu erkunden, könnten beispielsweise schwule junge Männer einfach bei einer solchen Gelegenheit die Frage in den Raum werfen: „Wie würdet ihr reagieren, wenn ich schwul wäre?“

Es gibt (mit Ausnahme der Anhänger weniger Religionen) kaum Mütter und Väter, die dann knallhart ankündigen würden, dass sie ihre Kinder verstoßen oder weniger lieben würden. Auch wenn das explizite Outing nicht am gleichen Tag erfolgt, dürfte diese etwas provokante Frage die Eltern zum Nachdenken bringen. Sie werden ihre Sprösslinge von da an etwas genauer beobachten und irgendwann selbst darauf kommen, dass sie einen schwulen Sohn oder eine lesbische Tochter haben. Das Verständnis dafür hat sich insgesamt erheblich gesteigert, seit die Ehe auch für die Menschen erlaubt ist, die ihre Homosexualität in einer auf Lebenszeit angelegten Partnerschaft ausleben möchten.